Fundstück
30. Juni 2008 | von karsten
Thema: Habseligkeiten |
Ein Wort
wurde jüngsthin zum schönsten im ganzen Land gekürt: Habseligkeiten.
Niemand Geringeres als das Goethe-Institut und der „Deutsche Sprachrat“ hatten den Schönheitswettbewerb international affichiert. Das Publikum war aufgerufen, Vorschläge an die Jury zu schicken, der so weithin geachtete Wortschätzer zugehörten, wie Herbert Grönemeyer oder Jutta Limbach.
Zweifelsohne zählen Schönheitswettbewerbe zu den beliebtesten und wertvollsten Veranstaltungen unserer Tage. Dies aber unterschied sich von hergebrachten Miss-Wahlen und Baby-Polls: Die Schönheit eines Wortes selbst war, der Laie staunt nicht schlecht!, gar nicht das entcheidende Kriterium. Das Auswahlverfahren, so konnte man erfahren, bezog sich auch nicht auf die Häufigkeit der Nominierung eines Wortes, noch auf die Melodie seiner Vokalisation oder auf seine Bedeutung. Vielmehr entschied die Begründung der Wort-Wahl über dessen Anmut. Dem Wort sollte ein knapper Hintersinn beigegeben werden, der seinen ästhetischen Rang fundierte.
In jener entscheidenden Begründung der Doris Kalka nun, in welcher sie den Juroren das Siegerwort ans Herz legte, heißt es an seiner schönsten Stelle:
„Lexikalisch gesehen verbindet das Wort zwei Bereiche unseres Lebens, die entgegengesetzter nicht sein könnten: das höchst weltliche Haben, d.h. den irdischen Besitz, und das höchste und im irdischen Leben unerreichbare Ziel des menschlichen Glücksstrebens: die Seligkeit.“
Soviel Dialektik in einem Worte geeint!, der Gedanke überwältigt. Allein, er ist weder neu noch richtig. Vor 70 Jahren formulierte Alfred Polgar ihn in seinen Aufsatz „Ein Wort“, inklusive seiner redlichen Berichtigung. Man gestatte, daß ich exzerpiere:
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Woher also das Wort „Habseligkeiten“ stammt, das müßte man wissen, um es sagen zu können. Woher es nicht stammt, das kann auch der Ungebildete, wenn er nur einige bittere Erfahrung im Etymologischen hat aus dem Stehgreif sagen; nicht von „Habe“plus „Seligkeit“. Schade. Wie schön, wenn das Wort bedeutete, was es zu bedeuten scheint. So echostark ist es, so fein übt es Kritik an dem Begriff, den es ausdrückt, strahlend rundum von Sinn und Beziehung. Zwiefache Ironie steckt in ihm: eine Hauptironie darüber, daß Habe selig mache und eine kleine Nebenironie, daß so geringe Habe dies vermag. Denn Habseligkeiten hat nur der Arme, die Sachen von anderen heißen „Besitz“. Niemand wird sagen oder schreiben: „Der Milliardär stand im großen Saal seiner Gemäldegallerie und besah friedvoll seine Habseligkeiten, insbesondere die echten Rembrandts.“
Habseligkeiten sind ein rührendes Um und Auf, ihr Vorhandensein erzählt von dem, was fehlt, sie sind, was die Ränder für ein Loch sind, das Etwas, durch das ein Nichts erst dutlich konturiert, erst recht sichtbar wird. (…)
Es gibt noch andere Wörter, die auf „selig“ enden, etwa leutselig, saumselig, glückselig. Alle ließen sich schön erklären, wenn die Etymologie nicht wäre. Und gar erst: glückselig oder das von biblischem Hauch umwitterte: armselig! Hier wurde der Leser infolge doch leider übermäßigen Bildungstriebs schwach, so daß er in Kluges „Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache“ fiel. Ach, die schlimmsten Befürchtungen erwiesen sich als gerechtfertigt. Gar nichts hatte jenes „selig“ mit Seele zu tun. Es rührt her von der der althochdeutschen Endsilbe „sal“, heute noch lebendig in Wörtern wie Labsal, Drangsal, Scheusal.
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Habsal also? Lautet so die entschlüsselte Erbbotschaft des schönsten deutschen Wortes?
Gewiss, man darf nicht ungerecht sein. Sowohl das Goethe-Institut, als auch den „Deutschen Sprachrat“ überbürdet eine so schwierige Aufgabe, wie die Kür des schönsten deutschen Wortes. Ja, zwischen Kür und Pflicht sei unterschieden! Allein Letztere zu erfüllen, ist das bescheidene Ansinnen dieser Zeilen. Ich wäre den Ausrichtern des Goethe-Instituts, samt Sprachrat und Jutta Limbach sehr ergeben, wenn sie zunächst die eigenen Hausaufgaben erledigten, bevor sie sich daran machen, selbst Zensuren zu verteilen.
Daniel Rapoport, November 2004
PS: Darf ich postscribieren, dass ich selbst mich in der Wahl des schönsten deutschen Wortes noch nicht zwischen „Hirn“ und „Gurke“ entscheiden konnte? Ich habe dafür keine Begründung. Denn jegliche Schönheit ist ganz und gar unbegründbar.
Quelle: http://www.rapoport.de/index/104/
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